El Tajín
El Tajín als wichtigstes Zeremonialzentrum der Golfregion hatte nie eine kulturell homogene Bevölkerung, auch wenn die Stätte gemeinhin als Hauptstadt der Totonaken angesehen wird. Diese tauchten jedoch erst um 1000 n. Chr. in der Region auf. “Totonaco” ist eine Begriff des Nahuatl und bedeutet “Menschen aus dem heißem Land”.
Im Kontext der mesoamerikanischen Kulturen hat El Tajín vor allem in architektonischer Hinsicht eine Sonderstellung inne. Der langjährige Leiter der archäologischen Grabungsarbeiten, der deutschstämmige Jürgen Brüggemann, formulierte es folgendermaßen: “Die Architektur El Tajíns ist nicht nur wegen ihrer formalen Elemente wie der Nischenstruktur von besonderem Interesse, sondern auch wegen ihres Spiels mit den Proportionen von Plattformen und Überbauungen der Tempelfundamente mit Gebäuden, die in verschiedenen Techniken errichtet sind”.
In kultureller Hinsicht war El Tajín keine Stadt im strikten Sinne des Wortes, da ihm eine entsprechende interne Struktur fehlte. Erst nach und nach wurden zum Beispiel im Nordkomplex der Stätte Gebäude errichtet, um die mit der Administration beauftragten Personen unterzubringen. Politisch herrschte vermutlich ein teokratisches System vergleichbar zu dem anderer mesoamerikanischer Städte, jedoch gibt es keinen Beleg dafür, dass die Totonaken staatliche Strukturen oder gar ein auf Eroberung ausgerichtetes Reich ausbildeten. Auch wenn sie sich an verschiedenen Orten des Golfes ansiedelten, gründeten sie doch nie eine Stadt, deren Einfluss und Macht mit der von Teotihuacán, Monte Albán, Tula oder Tenochtitlán vergleichbar gewesen wäre.
Ab dem Jahr 1000 n. Chr. begann der Niedergang El Tajíns, und zweihundert Jahre später war die Stadt völlig verlassen.
Die berühmte Nischenpyramide El Tajíns ist architektonisch einzigartig. Sie steht auf einer quadratischen Plattfrom von 35 m Seitenlänge. Die oberste der sieben Ebenen diente einst als Einfassung einer Spitze, die jedoch zerstört ist, so dass über ihre Form nichts bekannt ist. Die 365 Nischen entsprechen den Tagen des Kalenderjahres.
Im Zentrum der rituellen Kultur El Tajíns stand das Ballspiel und damit verbundene Menschenopfer. Alle 20 (!) Pelota-Plätze, von denen drei erst 2013 entdeckt wurden, weisen die klassische T-Form sowie ansteigende Seitenböschungen auf, von denen der Ball nach dem Aufprall zurück ins Spielfeld springen konnte. Einige der Plätze verfügten auch über Zuschauerränge. Manche sind in Nord-Süd-Richtung, andere wiederum von Ost nach West ausgerichtet. Keines der Spielfelder weist Ringe auf, durch die der Ball hindurchgeschlagen wurde. Der bekannteste unter El Tajíns Ballspielplätzen ist der südliche “Juego de Pelota Sur”. An den beiden zentralen Punkten seiner Wände befinden sich Skulpturen, die kosmologische Elemente aufweisen und vermutlich einen inhaltlichen Bezug zu den Ballmarkern in der Mitte des Spielfelds haben. Auch an den vier Ecken des Platzes finden sich Skulpturen, von denen eine den Totengott symbolisiert in Form einer Figur, die aus einem Gefäß steigt, das mit Wasserelementenbesetzt ist. An einer Stelle wird die Enthauptung eines Pelota-Spielers gezeigt, was die These stützt, dass im Rahmen des Spiels Menschenopfer zelebriert wurden.
An anderer Stelle sieht man die Darstellung zweier Gegenspieler, deren Zungen ineinander verschlungen sind, ein Symbol gegenseitiger Herausforderung mittels Sprache, sowie das grafische Symbol “ollin”, das für Bewegung steht. Beides repäsentiert das Konzept einer auf Dualität gegensätzlicher Kräfte (z.B. Tag und Nacht, Licht und Schatten) basierenden Einheit.