Chichén Itzá
Jeder kennt den Namen der Mayastätte im Norden Yucatáns mit der mächtigen Pyramide El Castillo.
In krassem Gegensatz zu ihrer Popularität steht das vergleichsweise geringe Wissen, das Archäologen und Anthropologen bislang über die Geschichte Chichén Itzás zusammentragen konnten. Vermutlich wurde es um 450 gegründet, seine Blüte erreichte der Ort an den Brunnen der Itzá – so die vage Übersetzung des Namens – aber erst im 10. Jahrhundert. Ob der offensichtlich toltekische Einfluss, den die um diese Zeit errichteten Bauten aufweisen, auf eine militärische Eroberung zurückzuführen, oder lediglich Beleg eines intensiven Kulturkontaktes ist, bleibt bis heute unklar.
Die Pyramide des Kukulkán (El Castillo) mit ihren symmetrisch angeordneten Treppen, die an allen vier Seiten zum Tempel auf der oberen Plattform führen, ist das steingewordene Abbild des Maya-toltekischen Kalenders, entsprechen doch die je 91 Stufen jeder Treppe, zusammen mit der letzten Stufe, die zum Tempel führt, den 365 Tagen des Sonnenjahres. Die neun Plattformen, die den Pyramidenbau strukturieren, entsprechen den Ebenen des Himmels in der Vorstellung der Maya, die Treppe teilt diese jeweils in zwei, so dass sie zusammen genommen 18 ergeben, entsprechend den 18 Monaten mit je 20 Tagen, die das Mondjahr ergeben. Auch die 52 Jahre des rituellen Kalenders finden sich in den Dekors der Plattformen wieder. An den Tagen der Tag- und Nachtgleiche (21. März und 22. September) scheint am späten Nachmittag der Schatten einer riesigen Schlange die steinernen Stufen herabzugleiten. Abertausende von Besuchern werden jedes Mal Zeugen dieses Schauspiels.
In der späten klassischen Periode der Mayakultur war die politische Macht auf der Yucatán Halbinsel geteilt zwischen den Puuc Zentren Edzná, Sayil, Labná, Kabáh und Uxmal im Westen und dem Stadtstaat Cobá im Osten. Ihnen erwuchs im 9.Jahrhundert in Chichén Itzá, dessen Bewohner die Zentralebene der Halbinsel kontrollierten, ein mächtiger Konkurrent, der vom schwindenden Einfluss Cobás und einer Allianz mit Seehändlern der nördlichen Golfküste profitierte. Bis zum Ende des 9.Jahrhunderts war aus dieser Allianz die mächtigste Konföderation entstanden, die die Maya jemals kannten. Diese Küstenhändler brachten auch die toltekischen Kultur- und Architekturelemente nach Chichén Itzá, darunter den Kult um die Gefiederte Schlange, in Tula als Quetzalcoatl, bei den Maya als Kukulkán bekannt. Während die ältesten Gebäude in Chichén Itzá im Puuc-Stil mit seinen charakteristischen Chaac Masken und geometrischen Mauerelementen errichtet sind, geben der Kukulkán-Tempel und der riesige Ballspielplatz den toltekischen Baustil wieder. Im Tempel der Krieger schließlich verbinden sich beide Traditionslinien in einer nur hier zu findenden Fusion. Das Innere des Kukulkán–Tempels birgt einen herrlichen Jaguar aus Stein, der rot bemalt und mit Augen aus Jade gestaltet ist. Einst diente er wohl als Thron eines Hohepriesters. Zwei rituell genutzte Cenotes, der so genannte heilige Cenote (Cenote Sagrado) im Norden und der weniger spektakuläre Cenote Xtolok im Südteil, befinden sich innerhalb der Anlage.
Die größte bauliche Struktur der Stätte ist, ungeachtet des imposanten „Castillo“, der große Ballspielplatz, dessen Maße (168 x 80m) beispiellos in Mesoamerika sind. Manche Forscher gehen sogar so weit zu sagen, dass ein Pelotaspiel innerhalb dieser Dimensionen gar nicht möglich gewesen ist und dass es sich eher um einen rituellen Platz gehandelt habe, der lediglich mit den kosmologischen Bedeutungen eines Ballspielplatzes belegt war, ohne dass hier jemals ein wirkliches Spiel stattgefunden habe. Eine plausible Erklärung, dass hier sehr wohl Spiele ausgetragen wurden, liefern jedoch die Darstellungen von Spielern z.B. auf Friesen, die diese mit Schlägern ausgestattet zeigen. Diese gestatteten es ihnen durchaus, den Ball entsprechend hoch und weit zu schlagen.
Auch zu anderen Zeiten des Jahres ist Chichén-Itzá alles andere als ein einsamer Ort. Um der brütenden Mittagshitze und den Horden der Bustouristen zu entgehen, die Tagestouren ab Cancún oder Playa del Carmen gebucht haben, sollte man entweder direkt bei den Ruinen oder aber in Valladolid übernachten, zeitig vor Ort sein und nach einer ausgiebigen Mittagspause wiederkommen, wenn die Busse wieder abgefahren sind. Die Eintrittskarten behalten ihre Gültigkeit. Zur Anlage gehört ein umfangreiches, anschauliches Museum und ein großes Besucherzentrum mit Restaurant und sanitären Einrichtungen.