Index
1. Indigene Völker in Chile vor Ankunft der Spanier
Vor Ankunft der Spanier im Jahr 1536 lebten auf dem chilenische Territorium verschiedene indigene Völker. Dazu gehörten u.a. die Atacameños und Diaguita im Norden sowie die Mapuche, Yagán, Tehuelche und Selk’nam im Süden.
Die frühesten Spuren menschlicher Besiedlung fand man im Gebiet von Monte Verde nahe dem heutigen Puerto Montt, rund 1000 km südlich Santiagos. C14-Datierungen ergaben, dass sie mindesten 14000 Jahre v.u.Z. zurückreichen und damit zu den ältesten des Kontinents überhaupt gehören.
Etwa 7000 Jahre reichen die Spuren der Chinchorro-Kultur im Norden des Landes zurück. Zu den bemerkenswertesten Zeugnissen dieser Kultur gehören Mumien, die älter als die der Ägypter sind.
Eine Besonderheit stellen die zahlreichen aufwändig präparierten Kindermumien dar, für die man lange keine Erklärung fand, bis man einen hohen natürlichen Arsengehalt im Trinkwasser des chilenischen Nordens feststellte. Mittlerweile geht man davon aus, dass dieser zu einer hohen Kindersterblichkeit und mittelbar zu dem ausgeprägten Mumienkult geführt hat. (Bild: Andrea021 [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons)
Bis 500 v.u.Z lässt sich die Atacameña-Kultur zurückverfolgen. Im Unterschied zur Chinchorro-Kultur, die wesentlich vom Fischfang lebte, waren die Atacameños Bauern und Viehzüchter.
Mit der Pukará (Púcara) de Quitor findet sich eine ihrer typischen Wohn- und Fluchtburgen wenige Kilometer außerhalb von San Pedro de Atacama.
Archäologische Zeugnisse weisen darauf hin, dass sich die auch Likanantaí oder Atacamas genannten Atacameños ausgiebig mit der Himmelsbeobachtung beschäftigten. Der Himmel über Chiles Norden gilt als einer der klarsten der Welt und beherbergt heute mehrere astronomische Observatorien. (Bild: Pukará de Quitor von Vessna [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons)
Weiter südlich, zwischen den Flüssen Copiapó und Choapa in Chiles Norte Chico, lebten ab dem 9.Jahrhundert u.Z. die Diaguita, ein Volk der Töpfer, Bergleute und Textilhandwerker.
Zu den bekanntesten Zeugnissen ihrer Kultur gehört die mit geometrischen Ornamenten versehene Keramik, oft als Krüge in Gestalt einer schwimmenden Ente (jarro-pato). (Bild: © Museo Chileno de Arte Precolombino)
Die Diaguita pflegten einen intensiven Kontakt und Austausch mit den an der Küste des Norte Chico lebenden so genannten Changos, einem Volk hoch spezialisierter Fischer, die ihre Boote mit der Haut von Seelöwen bespannten und so wasserdicht machten.
Im 15. Jahrundert eroberten die Inka nach und nach den Norden und die Mitte Chiles. Anders als im Zusammentreffen mit anderen Völkern, die sich den Inka unterordneten, leisteten die Mapuche erbitterten Widerstand und reklamierten nach der dreitägigen Schlacht am Maule den Sieg für sich. Wo die Südgrenze des Inkaimperiums verlief, ist umstritten, doch sicher ist, dass die Inka niemals den Bío Bío überquerten.
Durch ihren Kontakt mit den Inka-Invasoren begegneten die bis heute für ihren Kampfgeist berühmten Mapuche zum ersten Mal Menschen mit einer staatlichen Organisation. Dies verlieh ihnen in der Unterscheidung von den Eindringlingen ein eigenes Bewusstsein als Gemeinschaft, so dass sie sich trotz fehlender staatlicher Organisation zu losen geopolitischen Einheiten zusammenfanden.
Die Mapuche lebten vor dem Kulturkontakt mit den Spaniern als nicht hierarchisch, auf Familienverbänden beruhenden Gruppen. In diesen hatten bestimmte Personen wie die Tokis (~Kriegshäuptlinge) und die Machis (~ weibliche oder homosexuelle Schamanen) zwar Autorität und Einfluss, jedoch keine institutionalisierten Instrumente zur Durchsetzung ihrer Macht. (Bild: unbekannt [Public domain], via Wikimedia Commons)
Ihr Siedlungsgebiet erstreckte sich vom Río Choapa (etwa 200 km nördlich von Santiago) bis zur Insel Chiloé über eine Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 1600 Kilometern. Auch im Kontakt mit den Spaniern erwiesen sich die Mapuche über mehrere Jahrhunderte als äußerst widerstandsfähig. Während des so genannten Arauco-Kriegs, der sich mit langen Phasen des Waffenstillstandes über 300 Jahre dahinzog, behielten sie weitgehend ihre Autonomie.
Die Tehuelche (aus dem Mapuche stammender Sammelbegriff für verschiedene Ethnien) lebten im südlichen Patagonien, zwischen dem Río Negro und dem heutigen Punta Arenas im wesentlichen von der Jagd auf Guanacos, deren Herden sie saisonal folgten.
Im Winter suchten sie niedriger gelegene Gebiete in fruchtbaren Tälern oder an Küsten und Seeufern auf und im Sommer zogen sie auf die Mesetas oder zentralen Hochebenen Patagoniens bis in die Anden, wo sie mit dem Cerro Chaltén (heute Fitz Roy) ihre heilige Stätte besaßen.
Für jede Etappe ihrer zyklischen Wanderung hatten sie Orte, an denen sie ihr Lager aufschlugen, das sie selbst Aik oder Aiken nannten. Es bestand aus großen, relativ offenen Zelten (Toldos), deren Stangengerüste mit eingefetteten, rot bemalten Guanacohäuten bedeckt waren (Bild: MORENO, Francisco Josué Pascasio [Public domain], via Wikimedia Commons).
Jede der auf Verwandtschaft basierenden Gruppen hatte ihr eigenes Jagd- und Sammelgebiet, das durch bestimmte markante landschaftliche Punkte definiert war. Für die Gruppe galt ein striktes Exogamiegebot, d.h. Männer mussten sich eine Frau außerhalb der eigenen Gruppe suchen. Dieses Verfahren führte auch zu stärkeren Bindungen zwischen den verschiedenen Gruppen.
Dramatische Veränderungen in der Lebensweise der Tehuelche brachte die Einführung des Pferdes mit sich. Die Reichweite der Jagden auf die Guanacos erweiterte sich beträchtlich, die Versorgung mit Nahrung wurde erleichtert und die zuvor vermutlich zwischen 50 und 100 Personen umfassenden Gruppen wuchsen auf eine Größe von mehreren Hundert an.
Pferde ermöglichten auch Reisen über größere Entfernungen, was den interethnischen Kontakt mit anderen Völkern und den Warenaustausch ebenso förderte wie es Konflikte wahrscheinlicher machte.
(Grafik: By Createaccount [GFDL or CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons)
Die Selk’nam (auch Ona genannt) bzw. ihre Vorfahren lebten nach archäologischen Forschungen vermutlich seit 8000 bis 10 000 Jahren auf der Isla Grande Feuerlands. Sie unterteilten sich analog zu deren beiden großen Landschaftsformen in zwei Gruppen, die Párik im windreichen Präriegebiet nördlich des Rio Grande und die Hérsk im bewaldeten, von Bergen und Seen geprägte Gebiet südlich des Flusses. Für das unwirtliche Klima in dieser Region mit kurzen, kühlen Sommern und langen, nassen, kalten Wintern entschädigte eine reiche Fauna als Nahrungsangebot: Meeressäuger und Weichtiere an der Pazifikküste und Guanacos, Füchse und Nagetiere am Atlantik. Darüber hinaus gab es auf der ganzen Insel verschiedene essbare Pflanzen und eine Vielzahl von Vögeln.
Die Selk’nam waren Jäger und Sammler von großer Mobilität, die es ihnen gestattete, die über die Insel verteilten Ressourcen zu nutzen. Wichtigste Nahrungsquelle war das Guanaco, das sie mit Pfeil und Bogen, aber auch mit Bolas (nur Männer) jagten. Sowohl Männer als auch Frauen jagten und fischten, nur Kleinkinder, Ältere und Kranke waren ausgenommen. Menschen, die besondere Fähigkeiten besaßen, die für die Gruppe wichtig waren, wurden mit einem Ehrentitel versehen. Dazu gehörten z.B. Handwerker, die Bögen und Pfeilspitzen herstellten, spezialisierte Jäger oder Schamanen.
Den Frauen war nahezu die gesamte Hausarbeit wie das Sammeln, Kochen, Körbe flechten oder das Präparieren von Häuten und Fellen überlassen. Die Männer fertigten die Werkzeuge (Stein-, Knochen- und Holzwerkzeuge) und stellten mit ihrem Jagderfolg die Hauptgrundlage für Ernährung, Kleidung und Wohnen zur Verfügung. Einziges Haustier war der Hund als unentbehrlicher Helfer für die Jagd auf Guanacos und Füchse. Hunde waren so wertvoll, dass sie beim Tod des Besitzers an dessen Verwandte vererbt wurden.
Sozial waren die Selk’nam auf der Basis von Familienverbänden in patrilinearen Clanen von 40 bis 100 Personen organisiert, die ein eigenes definiertes Jagdgebiet besaßen. Wie auch bei den Tehuelche mussten sich Männer Frauen aus anderen Clanen suchen.
Eines der wichtigsten Rituale der Selk’nam Gesellschaft war die Initiation (h’ain) junger Männer, bei der die Ältesten die Jugendlichen in die Stammesgeheimnisse einweihten. Neben harten Proben, in denen die Kandidaten ihren Mut und ihre Standhaftigkeit beweisen mussten, nahm die Aufführung eines Mythos großen Raum ein. Dieser erzählte, wie die Frauen in einer mythischen Zeit die Männer beherrschten, indem sie sich als Geister verkleideten. Als die Sonne (El Sol) die Betrügerei entdeckte, ließ er alle Frauen, außer seiner Frau Mond (La Luna) töten. Seitdem hätten sich auch die Männer die Täuschung zu eigen gemacht, um ihrerseits die Frauen zu beherrschen (Bild: By Jan Giliam van Arkel [Public domain], via Wikimedia Commons).
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet Feuerland in den Fokus der großen Schafzüchter, die daraufhin Söldner rekrutierten, um einen Vernichtungskrieg gegen die Einheimischen zu führen.
Manche wie José Menéndez Menéndez, dessen herrschaftliche Villa heute zu den Touristenattraktionen von Punta Arenas gehört, gingen sogar so weit, für jeden toten Selk’nam ein Pfund Sterling zu bezahlen, was durch die Übergabe der Hände oder Ohren der Opfer bestätigt wurde. Die nördlichen Stämme waren die ersten, die betroffen waren, und an der Südspitze der Insel begann eine Welle der Migration, um den Massakern zu entkommen. Schließlich überließ die chilenische Regierung 1890 die Isla Dawson in der Magellanstraße den Salesianiern, die dort eine Mission gründeten. Die Selk’nam, die den Völkermord überlebten, wurden auf die Insel deportiert. 20 Jahre später wurde die Mission geschlossen, zurück blieb nur ein Friedhof voller Kreuze.
Ganz im Süden des amerikanischen Kontinents lebten bereits vor 10 000 Jahren die Yagán ( auch Yaghan, Yahgan, Yámana, Yamana oder Tequenica genannt) in ihrem angestammten Siedlungsgebiet, das südlich der Isla Grande Feuerlands begann und sich bis nach Kap Hoorn erstreckte.
Die Yagán lebten nomadisch als Jäger und Sammler, indem sie mit ihren Kanus zwischen den Inseln reisten. Während die Männer Seelöwen jagten, tauchten die Frauen im eiskalten Wasser nach Muscheln und anderen Schalentieren.
Sie errichteten provisorische Siedlungen, zu denen sie regelmäßig zurückkehrten, trotzten den für Fremde lebensfeindlich anmutenden Bedingungen scheinbar unbeeindruckt und bis zum Kulturkontakt mit den Europäern im 19.Jahrhundert auch weitgehend unbekleidet.
Von den zahlreichen Feuern, an denen sie sich zusammenhockend wärmten und deren Rauch die europäische Seefahrer überall wahrnahmen, erhielt Feuerland seinen Namen. (Bild: von unbekannt, Book of Mateo Martinic “Crónica de las tierras del sur del canal Beagle” [Public domain], via Wikimedia Commons)
Warum die Yagán, deren Vorfahren vermutlich zu den ersten Besiedlern des amerikanischen Kontinents gehörten, so weit nach Süden wanderten, war in der Forschung lange umstritten.
Gingen manchen Kulturwissenschaftler davon aus, dass sie von anderen, technologisch und zahlenmäßig überlegenen Völkern dorthin abgedrängt wurden, lehnten andere diese Marginalsierungstheorie ab. Stattdessen argumentierten sie, dass das Siedlungsgebiet der Yagán die besten Lebensbedingungen der Region bot, da es nicht wie der Rest des Archipels dem offenen Pazifik und dessen Stürmen ausgesetzt war und die Temperaturen höher als an den Küsten der Magellanstraße waren.
Wie für viele andere indigenen Gruppen Amerikas erwies sich auch für die Yagán der Kontakt mit den Europäern als tödlich.
Waren es zunächst eingeschleppte Infektionskrankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte besaßen, wurden sie später von den Milizen der europäischen Schafzüchter systematisch verfolgt und ermordet.
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2. Von der Kolonie zur Unabhängigkeit
Für die ersten Spanier, die vier Jahrzehnte nach Kolumbus in das Territorium des späteren Chile vordrangen, hielt das Land am vermeintlichen Ende der Welt einige Überraschungen bereit.
Als erster Europäer in Chile gilt der portugiesische Seefahrer Hernando de Magallanes. Dieser entdeckte im Rahmen seiner Weltumsegelung im Auftrag der spanischen Krone 1520 jene Meerenge, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet und später seinen Namen tragen sollte.
15 Jahre später machte sich der Spanier Diego de Almagro – angetrieben von der Gier nach Gold – mit 500 Mann auf den Weg vom damaligen Vizekönigreich Peru nach Chile. Die mühselige Überquerung der Anden auf Höhe der Atacama-Wüste, ausbleibende Goldfunde und das Fehlen von Städten, wie sie die Spanier bereits von den Inka gesehen hatten, frustierte die Teilnehmer der Expedition zunehmend. Angesichts der Feindseligkeiten der Einheimischen beschlossen die Spanier schließlich, nach Peru zurückzukehren, obwohl sie bereits bis rund 400km südlich Santiagos vorgedrungen waren.1540 unternahm Almagros Landsmann Pedro de Valdivia einen neuen Versuch, das Gebiet Chiles zu erobern. Er taufte das Land Nueva Extremeadura und im Februar 1541 gründete er die Stadt Santiago de Nueva Extremeadura. Der Ort der Gründung wurde wegen seiner Insellage im Río Mapocho ausgewählt, die es ermöglichen sollte, ihn gegen Angriffe der Mapuche besser zu verteidigen.
Bereits im September des Gründungsjahres kam es zum Angriff der Mapuche auf die neugegründete Stadt, bei dem mit Inés Suárez eine der schillerndsten Figuren der so genannten Conquista eine entscheidende Rolle spielte.
Nachdem tausende, in den Wäldern um Santiago zusammengezogene Mapuche-Krieger die spanische Siedlung in Brand geschossen hatten und die Niederlage der Spanier unmittelbar bevorstand, schlug Inés Suárez vor, die bereits gefangenen Kaziken zu enthaupten, um mit dem Anblick der abgeschlagenen Köpfe ihrer Führer die Mapuche in die Flucht zu schlagen.Nachdem Inés Suárez den ersten der Kaziken persönlich mit dem Schwert enthauptet hatte, warf sie sich selbst in Rüstung und auf einem Schimmel reitend in die Schlacht. Der Plan ging auf, und die Angreifer zogen sich zurück.
Obwohl es den Spaniern zunächst gelang, Stadtgründungen südlich des Bio Bio vorzunehmen, darunter Concepción und Valdivia, wurden die Kolonisierungsbestrebungen durch Aufstände der Mapuche und anderer indigener Gruppen immer wieder zurückgeworfen. So führte ein massiver Aufstand der Mapuche, der 1553 begann, zum Tod von Valdivia und zur Zerstörung vieler wichtiger Siedlungen.
Der als Arauco-Krieg in die Geschichte eingegangene Konflikt zwischen Kolonisten und Mapuche wurde erst 1881 beendet, als es chilenischen und argentinischen Truppen gelang, das Mapuchegebiet zu kontrollieren.
Im Norden durch die Wüste, im Süden durch die Mapuche, im Osten durch die Anden und im Westen durch den Ozean begrenzt, wurde Chile zu einer der zentralistischsten und gleichzeitig homogensten Kolonien Spaniens. Chile wurde zu einer Art Grenzposten und hatte die Aufgabe, Angriffe sowohl der Mapuche als auch der europäischen Feinde Spaniens, insbesondere der Briten und Holländer, zu verhindern. Dies gelang nur bedingt, wie Francis Drakes Überfall auf Valparaíso, den Haupthafen der Kolonie, 1578 zeigte. Chile unterhielt eine der größten stehenden Armeen Amerikas, war daher eines der am stärksten militarisierten spanischen Besitztümer und eine Belastung für die Schatzkammer des Vizekönigs von Peru.
Die spärlichen Goldvorkommen der Kolonie waren bald erschöpft und ab dem frühen 17. Jahrhundert lebte die Kolonie von der Landwirtschaft und der Viehzucht.
Großgrundbesitzer, deren Ländereien auf der Grundlage von Sklaven- oder de facto Sklavenarbeit im Encomienda-System bewirtschaftet wurden, dominierten das Land über Jahrhunderte sowohl ökonomisch als auch politisch.
Einen Wendepunkt für Chiles Wirtschaft stellte das Jahr 1687 dar, das für Peru zwei Katastrophen bereithielt: Das große Erdbeben des Jahres zerstörte die Vorräte und Lagerstätten des peruanischen Weins, und eine Getreideschwarzrost-Epidemie vernichtete die Getreideernte.
Als Konsequenz begann der Weinbau in Chile und die Weizenproduktion wurde forciert.
Das 18. Jahrhundert stand unter den Vorzeichen eines massiven Bevölkerungswachstums, der Neugründung zahlreicher Siedlungen und der zunehmenden Bedeutung des Weizenanbaus in großem Stil für den Export.
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3. Unabhängigkeit und Republik
Als Napoleon 1808 seinen Bruder Joseph als spanischen König inthronisierte, verlor die spanische Monarchie mittelbar ihre Legitimation als Kolonialmacht. Wie in den anderen amerikanischen Kolonien Spaniens auch, formierte sich in Chile eine Unabhängigkeitsbewegung, wenn auch zunächst als Junta im Namen Ferdinands, Erbe des abgesetzten spanischen Königs.
Diese Junta erklärte Chile am 18. September 1810 zur autonomen Republik innerhalb der spanischen Monarchie. (Zur Erinnerung an diesen Tag begeht Chile jedes Jahr am 18. September seinen Nationalfeiertag).
Schon bald wurden Forderungen nach völliger Unabhängigkeit laut, und es folgten Jahre der (militärischen) Auseinandersetzungen zwischen Royalisten und den so genannten Patrioten.
Erstere wurden aus dem Vizekönigtum Peru unterstützt, das vier militärische Expeditionen nach Chile entsandte.
Nach der Schlacht von Rancagua 1814 gelang den spanischen Truppen zunächst eine Wiedereroberung chilenischen Territoriums (Reconquista genannt), und die militärischen Führer des Unabhängigkeitsheeres, Bernardo O’Higgins und José Miguel Carrera, mussten nach Argentinien fliehen.
1817 kam O’Higgins mit seinem General José de San Martín und einem Heer von 5000 Mann über die Anden nach Chile zurück. Er besiegte die Spanier in der Schlacht von Chacabuco, doch den endgültigen Sieg der Unabhängigkeitsbewegung errang José de San Martín in der Schlacht von Maipú am 5. April 1818.Am 12. Februar 1818 erklärte sich Chile zur unabhängigen Republik. Die politische Umwälzung brachte jedoch wenig soziale Veränderungen mit sich, und die chilenische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bewahrte im Kern ihre stratifizierte koloniale Sozialstruktur, die stark von der Familientradition und der römisch-katholischen Kirche beeinflusst war. Zwar entstand schließlich eine starke Präsidentschaft, aber die wohlhabenden Großgrundbesitzer behielten ihre Macht.
Chile begann langsam, seine Einflusssphäre auszuweiten und seine Grenzen zu etablieren.
Durch den Vertrag von Tantauco wurde der Archipel von Chiloé 1826 eingegliedert.
Die Wirtschaft begann zu boomen durch die Entdeckung von Silbererz in Chañarcillo und den wachsenden Handel des Hafens von Valparaíso, der zu einem Konflikt um die Vorherrschaft im Pazifik mit Peru führte. Gleichzeitig wurden Versuche unternommen, die Souveränität im Süden Chiles zu stärken, indem man das Eindringen in Araukanien intensivierte und Llanquihue 1848 mit deutschen Einwanderern kolonisierte. Durch die Gründung von Fort Bulnes durch den Schoner Ancud unter dem Kommando von John Williams Wilson trat die Region Magallanes 1843 dem Land bei, während sich in der Region Antofagasta, damals ein Teil Boliviens, immer mehr Menschen ansiedelten.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es der chilenischen Regierung, durch die Besetzung Araukaniens ihre Position im Süden des Landes zu festigen.
Der Grenzvertrag von 1881 zwischen Chile und Argentinien bestätigte die chilenischen Hoheitsrechte über die Magellanstraße.
Infolge seines militärischen Erfolgs im auch als Salpeterkrieg bekannten Pazifikkrieg mit Peru und Bolivien (1879-83) dehnte Chile sein Territorium um fast ein Drittel nach Norden aus, wodurch Bolivien seinen Zugang zum Pazifik verlor und Chile die Kontrolle über wertvolle Nitratvorkommen erwarb, deren Ausbeutung zu einer Zeit des nationalen Wohlstands führte. Chile war um 1870 eines der einkommensstärksten Länder Südamerikas.1891 kam es zum auch als Revolution von 1891 bezeichneten Bürgerkrieg, der als Konflikt zwischen dem Präsidenten Balmaceda und Kräften des Kongresses ausgetragen wurde.
Balmaceda hatte die Unterstützung des Heeres, während die chilenische Marine auf Seiten des Kongresses stand.
Eine der Hauptursachen war Balmacedas Absicht, den Export von Salpeter und damit die Steuereinnahmen zu erhöhen, um Infrastrukturprojekte der Regierung zu finanzieren.
Aber die Salpeter-Barone sowie Teile der Oligarchie und des Parlaments wollten die Exportmengen begrenzen, um die Preise hoch zu halten und schlossen sich der Opposition gegen den Präsidenten an.In Balmacedas Praxis, junge Politiker, die nicht der herrschenden Oligarchie angehörten, zu Ministern zu berufen, sahen die traditionellen Eliten ihre politische Macht und gesellschaftlichen Einfluss in Gefahr.
Bei La Placilla, südöstlich von Valparaíso, fand am 28. August die entscheidende Schlacht des Bürgerkriegs statt: Die Regierungsarmee wurde praktisch vernichtet, 941 Männer wurden getötet, darunter General Barbosa und sein Stellvertreter, und 2.402 verwundet. Die Kongressarmee hatte mehr als 1800 Tote zu beklagen.
Präsident Balmaceda floh daraufhin in die argentinische Vertretung in Santiago, wo er nachdem er familiäre und persönliche Angelegenheiten geregelt und sein politische Testament verfasst hatte, am Nationalfeiertag mit gerade einmal 51 Jahren Selbstmord beging.
Unter den Vorzeichen der so genannten parlamentarischen Ära verkam die chilenische Wirtschaftspolitik zu einem System, das nur die Interessen einer herrschenden Oligarchie vertrat.
Erst in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts war die aufstrebende Mittelschicht und die Arbeiterklasse stark genug geworden, um einen reformistischen Präsidenten, Arturo Alessandri, zu wählen. Dessen Programmatik wie etwa die Trennung von Kirche und Staat und die Einführung einer Sozialgesetzgebung wurde jedoch durch einen konservativen Kongress obstruiert.
Unter dem Eindruck fallender Salpeterpreise (mit der Einführung des so genannten Haber-Bosch-Verfahrens zur Ammoniaksynthese konnte Kunstdünger in industriellem Maßstab hergestellt werden) verschärften sich die sozialen Konflikte in Chile. Gleichzeitig fanden marxistische Gruppen zunehmend Unterstützung in der Bevölkerung.
Ein Militärputsch unter der Führung von General Luis Altamirano im Jahre 1924 löste eine Periode politischer Instabilität aus, die bis 1932 andauerte. Unter den zehn Regierungen dieses Zeitraums war auch die von General Carlos Ibáñez del Campo, der 1925 kurzzeitig an der Macht war und zwischen 1927 und 1931 als de facto Diktator herrschte. Da er jedoch die Macht freiwillig an einen demokratisch gewählten Nachfolger abgab, blieb Ibañez ein über die kommenden Jahrzehnte akzeptierter Politiker.
Mit der Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Herrschaft trat mit der Partido Radical eine starke bürgerliche Partei auf die politische Bühne, die in den folgenden zwanzig Jahren in allen Koalitionen vertreten war. Danach brachten die Wähler Ibáñez del Campo erneut für sechs Jahre an die Macht, bevor der als unabhängiger Kandidat angetretene Jorge Alessandri den chilenischen Konservatismus für weitere sechs Jahre zur bestimmenden politischen Kraft machte.
In seine Amstzeit fiel das verheerende Erdbeben von Valdivia 1960, das als stärkstes jemals aufgezeichnetes Beben in die Geschichte eingegangen ist, einen pazifikweiten Tsunami, mehrere Vulkanausbrüche und schwere Schäden hinterließ. Schätzungen der menschlichen Opfer gingen von 1655 Toten, 3000 Verletzten und zwei Millionen Obdachlosen aus.
1970 kam es mit der Wahl Salvador Allendes zu einer grundlegenden politischen Wende. Mit ihm als Kandidat der vereinten Linken (Unidad Popular) wurde erstmals ein Sozialist zum Präsidenten gewählt.
Zu den wichtigsten Maßnahmen der Regierungskoalition gehörten die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie Banken, Telekommunikation und vor allem der Minenindustrie sowie eine Landreform. Obwohl diese Verstaatlichungen von der chilenischen Verfassung gedeckt waren, kam es von Beginn der Legislatur an zu Konflikten mit der Opposition und zu verdeckten Operationen der USA. Der damalige Sicherheitsberater Nixons, Henry Kissinger, brachte die Interessen der USA folgendermaßen auf den Punkt:
„I don’t see why we need to stand by and watch a country go communist due to the irresponsibility of its own people. The issues are much too important for the Chilean voters to be left to decide for themselves.“(„Ich sehe nicht ein, weshalb wir zulassen sollen, dass ein Land wegen der Verantwortungslosigkeit seiner Bevölkerung kommunistisch wird. Die Angelegenheit ist viel zu wichtig um sie der Entscheidung der chilenischen Wähler zu überlassen.“)
Die verdeckten Maßnahmen der USA gegen die demokratisch gewählte Regierung Chiles reichten von massiven finanziellen Zuwendungen an die rechts-konservartive Tageszeitung El Mercurio über die Bewaffnung rechtextremer Milizen und einer Verschwörergruppe, die den loyalen Generalstabschef René Schneider noch vor der Amtseinführung Allendes im Rahmen eines Entführungsversuchs ermordete, damit er einem Putsch nicht im Wege stehen würde.
Dank der Schaffung von Sozialprogrammen, einer Bildungs- und Gesundheitsreform, Lohnerhöhungen und der Umverteilung von Land galt der Beginn der Amtszeit Allendes als Erfolg. Als Reaktion auf die Verstaatlichung der Kupferminen, die zuvor in us-amerikanischem Besitz waren, wuchs der finanzielle Druck auf Chile. Es erhielt am internationalen Kapitalmarkt keine Kredite mehr, der Kupferexport brach ein, weil die USA und 14 andere Staaten einen Kaufboykott verhängten. Um die Sozialprogramme weiter zu finanzieren wurde Geld gedruckt, die Inflationsrate stieg immens.
Nachdem am 29. Juni 1973 ein erster Putschversuch (Tanquetazo) eines Panzerregiments von regierungstreuen Militärs niedergeschlagen worden war, kam es am 11. September 1973 zum Putsch der Armee unter Augusto Pinochet. Kampfflugzeuge bombardierten den Präsidentenpalast „La Moneda“, und wenig später begann die Erstürmung des Palastes. Nach kurzem Gefecht ordnete Allende die Kapitulation an. Nur er selbst blieb im „Saal der Unabhängigkeit“ zurück und beging Selbstmord. Bereits am Morgen des 11.September hatte sich Allende, nachdem er das Angebot der Putschisten, mit seiner Familie ins Exil zu gehen, abgelehnt hatte, in einer letzten Radioansprache verabschiedet: “Ich werde meinen Posten nicht verlassen. Ich werde mit meinem Leben das Amt verteidigen, das mir das Volk gegeben hat.” (Bild: Biblioteca del Congreso Nacional [CC BY 3.0 cl], via Wikimedia Commons)
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4. Die Militärdiktatur
Nach der Machtübernahme durch die Putschisten kam es zu einer beispiellosen Welle von Repressionen, die prototypisch für den lateinamerikanischen Staatsterrorismus in den 1970er-Jahren stehen: Inhaftierungen in Lagern, Verfolgung, Folter und das Verschwindenlassen Tausender, die seitdem als Verschwundene (desaparecidos) gelten.
Zu den berüchtigtsten Internierungs- und Folterlagern gehörte Santiagos Nationalstadion, das als Villa Grimaldi bekannte Hauptquartier der chilenischen Geheimpolizei, und auch in stillgelegten Salpeterminen des Nordens wurden politische Gefangene interniert.
Ein besonders perfides Handwerk betrieb die “Karawane des Todes”(caravana de la muerte), die als mobiles Folter- und Mordkommamdo von Süd nach Nord durch Chile flog, um politische Gefangene bestialisch zu foltern und zu ermorden (Bild: National Library of Chile/La Nacion Newspaper Archive).
Aussagen bundesdeutscher CSU/ CDU-Politiker wie Franz Josef Strauß (“Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang”) oder der damalige CDU-Generalsekretär Bruno Heck (“Das Leben im Stadion ist bei schönem Wetter ganz angenehm”) machen angesichts ihres Zynismus noch heute sprachlos.
Rund 250000 (manche Quellen gehen von nahezu einer Million aus) der 10 Millionen Chilenen flohen ins Ausland, viele ließen sich auch in beiden deutschen Staaten nieder.
Wirtschaftspolitisch verwandelte Pinochet Chile in den kommenden Jahren in ein neoliberales Laboratorium nach dem Credo us-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der so genannten “Chicago Boys” um Milton Friedman, der Pinochet 1975 persönlich gegen ein Honorar von 30 000 Dollar beraten hatte. Steuern und Zölle wurden gesenkt, der Mindestlohn abgeschafft und Gewerkschaften verboten.
Die Bilanz dieser Politik bis 1989 verzeichnete einen Rückgang der Löhne um 8%, Sozialleistungen, die sich auf 28% des Wertes von 1970 (also noch vor Allendes Reformen) beliefen sowie um durchschnittlich 20% gesunkene Budgets für Bildung, Gesundheit und Wohnen.
Die Junta setzte zu ihrem Machterhalt auf die Mittelschicht, die Oligarchie, ausländische Unternehmen und ausländische Kredite. Die meisten der enteigneten oder umverteilten Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe wurden den ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben oder an private Käufer veräußert. Lediglich die Kupferminen blieben im Staatsbeseitz und finanzierten den Verteidigungshaushalt.
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5. Rückkehr zur Demokratie
Erste größere Proteste gegen die Militärdiktatur gab es im Kontext der weltweiten Rezession Anfang der 1980er Jahre, die sich aufgrund fallender Kupferpreise massiv auf Chiles wirtschaftliche Situation auswirkte: Die Arbeitslosenquote lag bei 25%, die Hälfte der Bevölkerung lebte unter der Armutsgrenze und ein Drittel galt als unterernährt. Die Proteste wurden durch die Verhängung des Ausnahmezustandes niedergeschlagen, und es sollte noch Jahre dauern, bis sich in einem Referendum eine Mehrheit gegen eine weitere Amtszeit Pinochets aussprach.
Dieses Plebiszit war in der vom Militärregime 1980 ausgearbeiteten Verfassung vorgesehen und im Falle seines Scheiterns bestand die Verpflichtung, ein Jahr später freie Wahlen abzuhalten.
1989 wurde der Christdemokrat Patricio Aylwin mit 55 % der Stimmen zum Präsidenten gewählt.
Ein bereits 1978 erlassenes Amnestiegesetz schützte die Militärs vor der juristischen Verfolgung, und Pinochet hatte seiner Person und dem Militär in der umstrittenen Verfassung von 1980 umfangreiche Rechte und Garantien gesichert.
Augusto Pinochet wurde am 16. Oktober 1998 in London auf Grundlage eines Haftbefehls des spanischen Richters Baltasar Garzón wegen der Hinrichtung spanischer Bürger während der Diktatur verhaftet. Er blieb über ein Jahr in Haft, bis der britische Außenminister Jack Straw beschloss, ihn aus humanitären (!) Gründen freizulassen. Der ehemalige General kehrte nach Chile zurück und wurde bis zu seinem Tod 2006 wegen Menschenrechtsverletzungen und unerlaubter Bereicherung angeklagt.
Unter maßgeblichem Einfluss der katholischen Kirche bündelte die Opposition ihre Kräfte in der so genannten Concertación, einem Parteienbündnis, das bis 2009/2010 alle Präsidenten und seit Michelle Bachelet 2006 auch Präsidentinnen stellte.
Bei den Wahlen 2009 setzte sich der rechtskonservative Unternehmer Sebastián Piñera durch, der nach seiner Amtsübernahme mit den Folgen des schweren Erdbebens vom 27.Februar 2010 konfrontiert wurde und sich hier wie auch wenige Wochen später bei der “Wunder von San José” genannten Rettung der 33 Bergleute als volksnaher Macher präsentieren konnte (Bild: Chilenische Regierung [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons).
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