Tierradentro

Tierradentro – das Land im Innern – wie die Spanier die schwer zugängliche Region nannten, bezeichnet heute sowohl die gleichnamige Provinz, als auch eine der bedeutendsten archäologischen Zonen des Landes.

Diese umfasst eine der größten Nekropolen des präkolumbianischen Amerikas. Zwar sind die für Tierradentro typischen unterirdischen Höhlengräber auch in Westmexiko und in anderen Regionen des nördlichen Südamerikas verbreitet, jedoch treten sie nirgendwo sonst in einer Häufigkeit auf wie in der Umgebung des Ortes San Andrés de Pisimbalá.
Dabei handelt es sich um aus dem vulkanischen Stein herausgehauene Schachtgräber mit seitlichen Grabkammern (Hypogäen), die vor allem für Sekundärbestattungen benutzt wurden, d.h. die Knochen von früher Verstorbenen wurden hier endgültig in entsprechenden Knochenurnen beigesetzt.
Tierradentros Grabanlagen sind aufwändig gestaltet: Sie erreichen Tiefen von bis zu 9 Metern. Wendeltreppen führen einen Schacht hinunter, der als Zugang zur Grabkammer dient. Wände, Decken und Säulenoberflächen sind mit komplexen, geometrischen und figürlichen Bemalungen ausgestaltet. Die dominierenden Farben sind Rot, Schwarz und Weiß, aber auch Orange, Grau, Lila und Gelb sind vertreten. 1995 wurde die Stätte in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.
Über ihren ästhetischen Wert hinaus geben die Gräber von Tierradentro und die darin gemachten archäologischen Funde Aufschluss über die Gesellschaft, die sie einst erbaut hat: So muss es sich um eine Wirtschaftsform gehandelt haben, die Überschüsse produzierte, so dass sich ein Teil der Bevölkerung auf die Konstruktion der Hypogäen und die Herstellung begehrter Handelsgüter spezialisieren konnte. Letztere wurden dann u.a. bei Nachbarvölkern gegen begehrte Luxusgüter aus Gold und Muscheln eingetauscht.
Auch entsprachen die unterirdischen Grabbauten – wenn auch nicht im Material, so doch in Grundform und Raumaufteilung – den Wohnhäusern der Lebenden. Diese symbolische Symmetrie zwischen beiden Welten spricht dafür, dass der Übergang von Leben zum Tod als Kontinuum angesehen wurde. Schließlich sprechen Aufwand und Positionierung der Gebeine in den Grabkammern für die Existenz einer hierarchischen sozialen und politischen Struktur, die auf einem Häuptlingstum basierte, das gleichzeitig Priesterfunktionen innehatte.
Innerhalb des Parque Arqueológico de Tierradentro verteilen sich die Grabanlagen auf fünf Zonen, die sich zu zwei Tageswanderungen verbinden lassen: Alto del Aguacate, Alto de San Andrés, Loma de Segovia, Alto del Duende und El Tablón. In Tablón sind diverse Steinskulpturen zu sehen, die in Form und Technik denen von San Agustín ähneln.
Als attraktivster Ort der archäologischen Zone gilt Loma de Segovía, da es sowohl am leichtesten zugänglich ist, als auch die größte Zahl zugänglicher Gräber, den besten Erhaltungszustand und die größte Bandbreite der Gestaltung aufzuweisen hat.
Im Sektor Alto del Aguacate sind mehr als 70 Gräber auf einem flachen, künstlich angelegten Hügel nebeneinander angeordnet. Von hier kann man – entsprechende Witterung vorausgesetzt – spektakuläre Weitblicke genießen.
Eine Besonderheit Tierradentros sind auch zwölf koloniale Missionskapellen aus dem 16.Jahrhundert, die einst von den Jesuiten errichtet wurden. Zwei von ihnen, die von San Andrés de Pisimbalá und die von Santa Rosa, sind restauriert worden.
Einen Architekturpreis  erhielt der aus dem lokal vorkommenden Riesenbambus (guadua) errichtete Neubau der Bibliothek bzw. der “Casa del Pueblo” von San Pedro de Guanacas (Gemeinde Inzá).
Schließlich gehören zwei interessante Museen zum Parque Arqueológico de Tierradentro, ein archäologisches und ein ethnologisches, das der Kultur der Nasa gewidmet ist.