Jesuitenmissionen & Chiquitanía
Die tropische Savannenregion im Osten der Provinz Santa Cruz erhielt ihren Namen als Chiquitanía, Gran Chiquitanía oder Chiquitos aufgrund eines Missverständnisses.
Der Überlieferung nach war es der spanische Conquistador Domingo Martinez de Irala, der im frühen 15. Jahrhundert auf der Suche nach der legendären (fiktiven) Inkastadt Paititi auf die einfachen Hütten aus Palmenblättern stieß, in denen die indigenen Bewohner Schutz vor Hitze, Regen und Mücken suchten. Da die Zugänge zu diesen Hütten sehr klein waren, schloss der Spanier, dass auch ihre Bewohner klein waren (chiquito).
Die Chiquitanía ist berühmt für ihre so genannten Jesuiten-Reduktionen (reducción bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie Siedlung/ Dorf), die seit 1990 zum Unesco-Welterbe gehören.
Die Gründung dieser Missionsdörfer im späten 17. und frühen 18.Jahrhundert war inspiriert von den Konzepten einer Idealstadt wie sie die Philosophen des Humanismus wie z.B. Thomas Morus entwickelt hatten.
Das Stadtmodell für die Missionsdörfer sah entlang der drei Seiten eines rechteckigen Platzes regelmäßig angeordnete Wohnhäuser für die indigene Bevölkerung vor, während die vierte Seite der Kirche, Werkstätten und Schulen vorbehalten war.
Die Architektur der Kirchenbauten gilt als bemerkenswertes Beispiel der Anpassung europäisch christlicher Baukunst an die örtlichen Gegebenheiten und Traditionen. Sie ähneln großen Häusern mit überstehendem Satteldach über einer von Säulen getragenen Galerie an der Westseite. Das Innere unterteilen zwei Reihen geschnitzter Holzsäulen in drei Schiffe.
Einzigartig an diesen Kirchen ist, dass die Holzstützen nicht – wie in Europa üblich – auf gemauerten Fundamenten standen, sondern im Erdboden eingegraben und verankert wurden. Zuerst wurden die tragenden Holzsäulen und das Dach aufgerichtet, erst danach mauerte man die nicht tragenden Wände aus Lehmziegeln (Adobe). Um die Mauern vor Regen zu schützen, wurde der Bau allseitig von Vorhallen und Laubengängen umgeben.
Die einzige Ausnahme stellt die Kirche von San José de Chiqitos dar, da sie aus Stein erbaut und von barocken europäischen Vorbildern inspiriert ist. Neben ihrer reichen Innenausstattung beherbergen viele dieser Kirchen bemerkenswerte Objekte der Volkskunst wie Skulpturen, Gemälde, Altäre und Kanzeln.
Als besonders schön gilt die Innenausstattung der Kirche von Santa Ana, die kleinste unter den Missionen und als einzige im Originalzustand erhalten. Als äußerlich schönste Kirche gilt die von Concepción.
Im Archiv des gleichnamigen Ortes lagert der musikalische Schatz der Chiquitanía: 5500 Seiten Originalpartituren aus den Jesuitenmissionen. Der Schweizer Architekt Hans Roth entdeckte sie, als er Anfang der 1970er-Jahre nach Bolivien kam, um die baufälligen Jesuitenkirchen zu restaurieren. Doch es war die einheimische indigene Bevölkerung, die die Partituren nach der Ausweisung des katholischen Ordens 200 Jahre lang gehütet hatte.
San Javier
San Javier (auch San Xavier) ist die älteste Gründung unter den Missionsdörfern.
Das zur Kleinstadt herangewachsene Dorf liegt 230 Straßenkilometer nordöstlich von Santa Cruz und hier wie auch in den anderen Orten der “Missionsrunde” stellt die hölzerne Jesuitenkirche die offensichtlichste Attraktion dar. Zum Komplex gehört neben der Kirche selbst auch ein kleines Museum (Museo Misional), das eine Fotosammlung zu Architektur und Landschaft der Chiquitanía beherbergt sowie Musikinstrumente und Partituren aus der Zeit der jesuitischen Mission zeigt.
Einen kurzen Besuch ist auch das Geburtshaus des ehemaligen bolivianischen Präsidenten Germán Busch (Museo Germán Busch) wert, in dem auch die Touristeninformation des Ortes untergebracht ist.
Am Ortsrand türmen sich die Steine der Apostel (Piedras de los Apóstoles) genannten Granitblöcke auf, die bereits den (als Volk ausgestorbenen) Piñocas als Kultstätte dienten. (Wer baden möchte hat die Wahl zwischen den zu einem Thermalbad ausgebauten Aguas Tibias oder den Aguas Calientes.)
Concepción & San Ignacio
Concepción ist der “touristischste” unter allen Orten auf der Missionsrunde, da es hier die meisten (gehobenen) Hotels gibt und die Veranstalter aus Santa Cruz es daher bevorzugt ansteuern. Auch gilt Concepcións Kirche als besonders gelungen und vor allem im Abendlicht besonders fotogen.
Der Ort und seine Umgebung sind auch bekannt für ihren Orchideenreichtum, in dem vor allem die “Cattleya nobilior” zahlreich vertreten ist. Alljährlich im Oktober findet ein Orchideenfestival statt. In Concepcións kleinem Naturschutzgebiet Orquideas del Encanto wurde mit dem Cerro Bamba ein Aussichtspunkt über die Landschaft der Umgebung angelegt, und auch der Garten des “Chiquitos Hotels” weist eine beachtliche Orchideensammlung auf.
Ein beliebtes Ausflugs- und Badeziel für Einheimsche und Touristen ist der zwei Kilometer westlich des Ortes gelegene Stausee der Laguna Zapocó.
San Ignacio de Velasco wurde erst 1748 gegründet, gerade einmal 19 Jahre vor der Ausweisung der Jesuiten aus Südamerika. Seine prächtige Kirche stürzte 1948 ein und wurde im ursprünglichen Stil wieder aufgebaut. Wäre da nicht der hässliche Kirchturm aus Beton, man müsste die Rekonstruktion als gelungen bezeichnen. Obwohl im Innern noch der Originalaltar und Heiligenfiguren erhalten sind, zählt San Ignacio de Velascos Kirche nicht zum Uneso-Welterbe. Dennoch ist das Städtchen zur größten Siedlung und zum wichtigsten Marktplatz der Region herangewachsen.
San José de Chiquitos
Das kleine Santa Ana de Velasco liegt 40 km von San Ignacio entfernt und bietet sich für einen Stopp im Rahmen der Fahrt nach San José de Chiquitos an. Ein Kuriosum stellt die dortige Kirche dar, denn nachdem die Jesuitenmissionare bereits aus der Gegend vertrieben worden waren, beschloss die indigene Dorfgemeinschaft, eine Kirche zu bauen. Sie ist im Vergleich zu den anderen Kirchen kleiner geraten, wirkt aber aufgrund ihres weitgehend originalen Erhaltungszustandes sehr authentisch.
Im Gegensatz dazu steht San José de Chiquitos’ steinerne Missionskirche, die wie ein Relikt spanischer Baukunst nach dem Vorbild der Jesuitenmissionen von Paraguay und Nordargentinien wirkt.
San José de Chiquitos weist mit dem 1989 gegründeten Parque Nacional Histórico Santa Cruz La Vieja eine weitere historisch bedeutende Stätte auf, denn es war hier, wo die heutige Provinzhauptstadt Santa Cruz 1561 zum ersten Mal gegründet wurde.
Santa Cruz La Vieja liegt ca. 3km südlich San Josés. Vom Aussichtspunkt Mirador de Ñuflo, der bereits zur Bergkette der Serranía de San José gehört, bieten sich beeindruckende Weitblicke in die Ebene der Chiquitanía.
Im Osten San Josés überragt einem Wächter gleich der Cerro Turubó den Ort. Seine Besteigung verspricht ebenfalls schöne Fernblicke, und der hier angelegte Ökopfad (sendero ecoturístico) eignet sich gut zur Vogelbeobachtung.
Einen Kurzbesuch verdient auch das kleine, von der Asociación Hombre y Naturaleza Bolivia getragene Museo Ayoreo Chiquitano, dessen Sammlung aus Alltags- und Ritualgegenständen der Kulturen der Chiquitanos und der indigenen Ayoreo gewidmet ist. Im Innenhof des Museums gibt es zudem einen ‘Lehrpfad’ zum Parque Nacional Kaa-Iya del Gran Chaco, dem mit 3,5 Millionen Hektar größten Nationalpark des Landes, der sich im Südosten der Provinz Santa Cruz erstreckt.
Santiago de Chiquitos
Bereits der Weg von San José de Chiquitos nach Santiago de Chiquitos hält mehrere Sehenswürdigkeiten bereit.
Bei Chochis überragt der weithin sichtbare, 200m hohe, rote Fels des Torre de David die Landschaft. Das Santuario Mariano de la Torre – Virgen de la Asunta zu seinen Füßen wurde 1988 vom Schweizer Architekten Hans Roth gebaut, der mit der Rekonstruierung und Restaurierung der Missionskirchen betraut war. Das Heiligtum ist in der Form eines Kreuzes angelegt und erinnert u.a. an die Toten der Naturkatastrophe von 1979, als eine Schlamm- und Gerölllawine hier zahlreiche Opfer forderte.
Einen ganz besonderen Badeplatz findet man im Río Aguas Calientes im gleichnamigen Ort. Der Río Aguas Calientes bildet hier über 5km heiße ‘Quellen’ mit verschiedenen Badegelegenheiten. Die ersten, über 40°C heißen bilden blubbernde, schlammige Löcher und tragen den passenden Namen Los Hervores (Aufkochen, aufwallen). Ihnen werden aufgrund ihre hohen Mineraliengehaltes medizinische Wirkung zugeschrieben. Folgt man dem Flusslauf, sinkt die Temperatur des Wasser bis man bei El Puente im sandigen, von üppiger Vegetation gesäumten Flussbett ideale Badebedingungen bei 25°C Wassertemperatur vofindet.
Santiago de Chiquitos stellt (auch chronologisch) die letzte in der Reihe der Jesuiten-Missionen dar. Angesichts der vielfältigen Natur und Landschaft tritt die Architektur hier jedoch in den Hintergrund. Bei Wanderungen in die Serranía de Santiago findet man unter anderem:
- erodierte Steinsäulen am Mirador del Valle de Tucavaca mit einer Aussicht über das Tal von Tucavaca mit Südamerikas bestkonserviertem tropischen Trockenwald.
- natürliche Steinbrücken (“El Arco” und “Puente del Mono”)
- Fels- und Höhlenmalereien (“Motacú” und “Cueva de Miserendino”)
- diverse Wasserfälle mit natürlichen Badebecken (Las Pozas, Las Cachuelas, San Sabá, oder La Colina)
- kristallklare Wasserbecken und bizarre Sandsteinformationen (“La Soledad”)